Interview Klaus Töpfer
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Frankfurter Rundschau  28.12.1999

Atemnot im Raumschiff Erde

Der Chef der UN-Umweltbehörde Unep, Klaus Töpfer, über die Chancen für ein Jahrhundert der Umwelt

Hoffnung, daß die menschengemachten Veränderungen im Weltklima noch zu verhindern sind, hat er nicht. "Wir sind bereits im Klimawandel", sagt der Direktor des UN-Umweltprogramms, Klaus Töpfer. Er fordert ein Frühwarnsystem, um die Folgen möglichst gering halten zu können. Mit dem ehemaligen Bonner Umwelt- und Bauminister sprach FR-Redakteur Joachim Wille in Berlin.

FR: Herr Töpfer, das Raumschiff Erde taucht ins Jahr 2000 ein. Sind die Lebenserhaltungssysteme an Bord noch intakt?

Klaus Töpfer: Die Lage ist überaus kritisch. Die weiterhin massiv ansteigende Weltbevölkerung und die wirtschaftliche Dynamik, besonders in den Industriestaaten, bringt das Raumschiff Erde wirklich in Atemnot. Wir dürfen uns nicht täuschen lassen: Die Reparatur der Ozonschicht ist zwar in Gang gekommen, und in den Industriestaaten hat man die Luftschadstoffe Schwefeldioxid und Stickoxide einigermaßen im Griff. Die Erde als vernetztes Natursystem aber hat erhebliche Erschöpfungszustände.

Sie haben kürzlich den Welt-Umweltbericht "Geo 2000" vorgestellt. Der vom Menschen gemachte Klimawandel sei nicht mehr abzuwenden, sondern allenfalls noch abzumildern, hieß es da. Ziemlich pessimistisch.

Ich muss es noch einmal wiederholen: Wir sind bereits im Klimawandel. Die extremen Wettersituationen haben dramatisch zugenommen, Hurrikane, Taifune, gewaltige Niederschläge wie jetzt in Venezuela und der Orkan vom Sonntag in Frankreich und Süddeutschland. Die Wissenschaftler können zwar noch nicht 100prozentig nachweisen, daß dies Folgen des angeheizten Treibhauseffekts sind, aber die Wahrscheinlichkeit ist hoch, und vor allem können wir so eine Ahnung davon bekommen, was uns noch blüht. "Geo 2000" zeigt deutlich, daß der Ausstoß der Treibhausgase weiter anwächst. Die bisher ergriffenen Maßnahmen reichen nicht einmal aus, um sie zu stabilisieren, geschweige denn wieder zu senken.

Gibt es denn überhaupt die Chance gegenzusteuern?

Ich sage ja nicht: Nach uns die Sintflut, lasst uns Titanic spielen. Wir müssen zwei Dinge tun: erstens uns über die Auswirkungen des Klimawandels frühzeitig Klarheit verschaffen und zweitens Strategien zur Anpassung entwickeln. Besonders betroffen werden Afrika, Mittelamerika und Teile Asiens sein. Die große Tragik liegt ja darin, daß diejenigen, die die Atmosphäre mit den Treibhausgasen besonders überladen, die Industriestaaten im reichen Norden, nicht diejenigen sind, die besonders unter den Folgen leiden.

Man soll Dämme bauen gegen den steigenden Meeresspiegel?

Das ist eine mögliche Maßnahme, aber nicht die wichtigste. Das kann helfen, wo man überhaupt das Geld dazu hat, in den Niederlanden zum Beispiel oder in Deutschland an der Nordsee. In Bangladesch wird das schon mehr als schwierig.

Was hilft sonst?

Hauptschwerpunkt der Vorsorge muss eine richtige Landnutzung in den jeweiligen Regionen sein. Die klimastabilisierenden Wälder sollten geschützt und, wo sinnvoll, neu aufgebaut werden. Wir müssen aktive Maßnahmen gegen Wüstenbildung einleiten, das ist wichtig, um die angrenzenden Siedlungsgebiete zu schützen. Oder denken Sie an die Art der Bebauung: Der Hurrikan Mitch in Mexiko zum Beispiel hatte nicht nur wegen seiner außerordentlichen Wucht und den extremen Niederschlägen so verheerende Auswirkungen, sondern auch, weil man viele Häuser mit schlechter Gründung an die Hänge gebaut hatte und sie deswegen einfach weggeschwemmt wurden. Wir brauchen also ein Frühwarnsystem, das uns zeigt, wo als erstes gehandelt werden muss, um wenigstens die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern.

Betonen Sie die Vorsorge so, weil Sie sehen: Der Kampf gegen die Treibhausgase auf den internationalen Klimaschutz-Konferenzen kommt nicht voran?

So eine Jahrtausendwende verleitet ja den ein oder anderen zu düsteren Prognosen. Mir geht es aber überhaupt nicht um die Androhung des Weltuntergangs. Die Vorsorge ist einfach notwendig, weil der Klimawandel schon läuft, unabhängig von den Klimaschutzanstrengungen. Hier dürfen wir aber auch nicht locker lassen, und ich bin zuversichtlich, daß wir mit dem Kyoto-Protokoll - es verpflichtet die Industrieländer zur Verringerung des Treibhausgas-Ausstoßes - bald gut vorankommen. Die Oberbremser, die USA, werden ihren Widerstand vielleicht sogar schon beim nächsten Klimagipfel Ende 2000 in den Haag aufgeben.

Woher die Hoffnung?

Positive Impulse kommen ausgerechnet von einer Seite, die bisher eher als Bremse angesehen worden ist - von der Wirtschaft. Wichtige Unternehmen haben die Zeichen der Zeit begriffen und investieren selbst in Energieffizienz, alternative Energien und Ressourcen-Schonung. Ich erwarte sogar, daß die Wirtschaft in manchen Ländern schneller vorangeht als die Regierung.

Beispiele?

Denken Sie an den Chef von BP, John Brown. Er akzeptiert, daß gerade ein Ölkonzern etwas gegen den Klimawandel tun muss und lenkt stattliche Investitionen in erneuerbare Energien um. Oder denken Sie an die von Konzernen wie Daimler-Chrysler oder Ford forcierte Entwicklung der Brennstoffzelle, die den Verkehrssektor revolutionieren kann. Es gibt viele weitere Beispiele. Diese Bewegung wird sich beschleunigen, weil sie sich nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch als sinnvoll herausstellen wird. Ist diese Barriere erst einmal übersprungen, wird das ein Selbstläufer. Um das zu beschleunigen, brauchen wir so etwas wie eine unternehmerische Agenda 21, so wie es eine lokale Agenda 21 für die Städte und Gemeinden gibt. Darin müssen die Ziele, etwa eine Erhöhung der Ressourcenproduktivität um den Faktor vier oder zehn, stehen, aber auch soziale Standards.

Man hat Ihnen vorgeworfen, der "Geo 2000"-Bericht überzeichne die Lage.

So mancher sagt: Trotz aller Krisen ist es auf der Erde ja immer weitergegangen. Das ist mir denn doch zu schlicht. Irgendwie geht es immer weiter. Fragt sich aber eben, wie. So eine unbeschwerte Haltung - die Mentalität der Wegwerfgesellschaft - können wir uns heute nicht mehr leisten, da wir wissen: Es gibt unverrückbare ökologische Grenzen. Noch tun wir so, als sei alles unendlich vorhanden. Wir schmeißen Energie weg, in dem wir sie in den Kraftwerken und Autos viel zu ineffizient nutzen. Wir werfen Natur weg und lassen die roten Listen der aussterbenden Tiere und Pflanzen immer länger werden. Wir werfen Rohstoffe weg, in dem wir zu viel Abfall produzieren, anstatt die Materialien in Kreisläufen zu führen. Dies zu ändern, ist das Zukunftsprogramm und keine Anleitung zur Resignation. Das ist die Herausforderung für den menschlichen Geist.

Eine schöne Vision.

Dazu muss man kein Visionär sein. Vieles von dem, was nötig ist, lässt sich schnell umsetzen, weil die nötigen Technologien schon vorhanden sind. Dem Ingenieur ist in der Tat nichts zu "schwör", wenn nur die richtigen Rahmenbedingungen da sind. Allerdings darf man nicht den Eindruck erwecken, als wäre es alles nur eine Frage der Technik. Das Verhalten und die Konsummuster gerade der Menschen in den Industrieländern müssen sich ändern. Es muss uns bewusst werden, daß Wohlstand mehrere Dimensionen hat, nicht nur die materielle.

Das sind hehre Worte.

Aber wahre. Die fast zwanghafte alleinige Konzentration in der Wirtschaft auf die Entwicklung der Aktienkurse führt zu einem völlig verkürzten Wohlstandsbegriff. Ökologische und soziale Kosten werden auf die Entwicklungsländer und spätere Generationen abgewälzt, sie tauchen in den Bilanzen einfach nicht auf. Aber es gibt sie. An der Lösung dieser Frage hängt nicht nur die Umweltlageauf dem Globus, sondern auch der Weltfrieden.

In "Geo 2000" steht: Hauptursache der globalen Umweltkrise ist neben dem Lebensstil der reichen Minderheit der Weltbevölkerung in der Industriestaaten die Armut der Mehrheit in den Entwicklungsländern. Aber wenn die Armen so leben wollten wie die Reichen, bräuchten wir fünf Planeten Erde.

Es ist völlig ausgeschlossen, auf Entwicklung zu verzichten. Über 1,2 Milliarden Menschen in der Welt müssen mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen. Wollen Sie den Leuten, die keine anständigen Häuser, kein gesundes Trinkwasser, keinen Strom haben, sagen: Ihr müsst arm bleiben, damit nicht zu viel Rohstoffe verbraucht werden? Das geht nicht. Außerdem führt ja gerade die Armut zur Übernutzung der Natur. In einem Land wie Uganda zum Beispiel kommt 90 Prozent der genutzten Energie - fürs Kochen, für Wärme - aus den Wäldern, weil bessere Technologien fehlen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Wald weg ist.

Also was tun?

Nicht die Entwicklung in Frage stellen, sondern helfen, sie umweltverträglich zu machen. Im sonnenreichen Uganda zum Beispiel wäre die Solarenergie eine faszinierende Alternative. Auch moderne Wasserspar-Technologien in Landwirtschaft und Haushalten könnten hier, am Oberlauf des Nils, viel zur Entspannung der kritischen Lage beitragen. Das hätte Auswirkungen bis nach Ägypten. Aber die Industriestaaten müssen mithelfen, das zu finanzieren. Die Entwicklungsländer können es schaffen, die Stufe der umweltzerstörenden Industrialisierung zu überspringen und gleich in ein nachhaltiges Wirtschaften überzugehen.

Entwicklungsländer werden sanfte Entwicklungspfade kaum beschreiten, wenn die Industriestaaten nicht vorangehen.

In der Tat. Erste Ansätze, die Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung umzusteuern, gibt es ja auch. Zum Beispiel den Einstieg in die ökologische Steuerreform in Deutschland, die die Arbeitskosten verringert und den Energieverbrauch verteuert. In Großbritannien läuft das schon länger; da steigt der Benzinpreis jedes Jahr um sechs Prozent. Das wurde schon unter der konservativen Major-Regierung eingeführt. Und auch die USA werden irgendwann soweit sein. Es geht ja nicht darum, die Leute zu ärgern, sondern einen Anreiz für den Bau und den Kauf sparsamer Autos zu setzen.

Sie sind ein glühender Anhänger von Rot-Grün? Die haben die Öko-Steuerreform ja auf den Weg gebracht.

Soweit ist es nicht. Aber man sollte das Thema ohnehin nicht parteipolitisch monopolisieren. Eine Ökologisierung des Steuersystems passt ideal zur Idee einer öko-sozialen Marktwirtschaft, wie sie die CDU 1992 auf ihrem Hamburger Parteitag ins Grundsatzprogramm geschrieben hat.

Trotzdem hat die CDU das 1995 von ihr entwickelte Ökosteuer-Konzept wieder in der Schublade verschwinden lassen.

Ich empfehle, im Rahmen eines Neubeginns wieder mehr an dieser Thematik zu arbeiten. Gerade eine der Marktwirtschaft verpflichtete Partei wie die Union muss klarstellen, daß ein Abwälzen von Kosten aus der privaten Rechnung auf den Menschen oder die Umwelt in eine Sackgasse führt. Ich habe schon in meiner Zeit als Bundesumweltminister eine Anhebung des Benzinpreises in jährlichen Zehn-Pfennig-Schritten empfohlen, natürlich bei kompletter Rückgabe über die Lohnnebenkosten.

Die Fakten zur globalen Umwelt-Lage sind erdrückend. Als erstes droht die Wasserkrise, die Böden sind weltweit übernutzt, in 30 Jahren werden nur noch Reste des Regenwalds da sein. Trotzdem hat allgemein das Interesse am Umweltschutz stark abgenommen. Es ist doch wie auf der Titanic.

Das hat mit dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems zu tun. Der aus der Systemkonkurrenz geborene Zwang, die Marktwirtschaft sozial und auch ökologisch zu machen, fiel weg. Und nun haben wir in der Welt zunehmend eine Marktwirtschaft in Reinkultur, die ist nur noch frei. Ich glaube nicht, daß dies zukunftsfähig ist, denn sie bringt wieder mehr Arbeitslosigkeit, Probleme bei der Alterssicherung und verschärft die Umweltsituation. Wenn man in Deutschland vier Millionen Arbeitslose hat, bedrückt das die Menschen aktuell mehr als die sich abzeichnende globale Krise. Tiefer gehende Untersuchungen zeigen aber, daß die Umwelt-Sensibilität durchaus noch da ist.

Im nächsten Jahrhundert . . .

. . . wird das Umweltthema sehr schnell wieder ganz nach vorne rücken. Das nächste Jahrhundert muss ein Jahrhundert der Umwelt sein, sonst droht wirklich die Unbewohnbarkeit des Globus.


Copyright © Frankfurter Rundschau 1999
Dokument erstellt am 27.12.1999 um 20.45 Uhr
Erscheinungsdatum 28.12.1999

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